Fliegen ist immer schädlich fürs Klima und eines der kostspieligsten Steckenpferde überhaupt? Nicht unbedingt. In Form des Papierfliegers handelt es sich sogar um eines der freundlichsten, friedfertigsten und günstigsten Hobbies – mit eigenen Meisterschaften und einer Lernkurve, die so manche andere Freizeitbeschäftigung in die Tasche steckt.
AUF PAPIER PROJIZIERTE SEHNSUCHT
Schon seit seinen Frühtagen blickte der Mensch sehnsuchtsvoll auf die Vogelwelt. Fliegen war über Jahrtausende definitiv einer der größten Wünsche überhaupt. Doch erfüllen ließ er sich erst nach Erfindung
· des Heißluftballons (1783),
· des Luftschiffs (1852),
· des Segelflugzeugs (1893),
· des Motorflugzeugs (1903) und
· des Hubschraubers (1923 bzw. 1937).
Das bedeutet jedoch nicht, der Mensch habe zuvor keinerlei Fluggeräte konstruiert. Bloß gab es nichts, das eine Person tragen konnte. Schon zur Zeitenwende wurden im heutigen China die ersten Drachen gebaut. Und je mehr sich Papier verbreitete, desto häufiger entstand die Erkenntnis, dass es wenig mehr als eine passende Falttechnik benötigte, um daraus etwas Flugfähiges zu bauen.
Einmal mehr war es das europäische Universalgenie Leonardo da Vinci, das hierbei maßgebliche Entwicklungs- und Experimentierleistungen erbrachte. Ebenfalls wäre der deutsche Segelflug-Pionier Otto Lilienthal wohl kaum zu vielen seiner Erkenntnisse gekommen, hätte er sich nicht umfassend mit Modellen aus Papier und Holz befassen können.
Tatsächlich darf man deshalb mit Fug und Recht eines behaupten: Papierflieger sind schon allein aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung extrem viel mehr als bloß ein kindlicher Zeitvertreib für langweilige Schuldstunden und Prokrastination im Angesicht unangenehmer Hausaufgaben.
ZWISCHEN FALTER UND MODELL
Die meisten Leser werden sich wohl unter dem Begriff Papierflieger etwas vorstellen können. Ganz so einfach ist es allerdings doch nicht. Denn wenn man es genau nimmt, existieren sogar drei Arten dieser leichtgewichtigen Flieger:
1. Ori-Planes: Die Abkürzung entstammt der japanischen Origami-Papierfaltkunst. Hierbei handelt es sich um die ursprünglichsten und am weitesten verbreiteten Papierflieger. Erlaubt ist ausschließlich das papierne Grundmaterial, keine anderen Hilfsmittel gleichwelcher Art.
2. Faltflieger bzw. Falter: Sie bestehen ebenfalls mehrheitlich aus Papier, allerdings können zusätzliche Hilfsmittel genutzt werden, um die Aerodynamik zu verbessern. Etwa Klebeband, kleine Münzen oder ähnliche Gewichte.
3. Papierflugzeuge bzw. White Wings: Letztgenannter Begriff geht auf eine japanische Serie von Fliegern ab den 1960ern zurück. Hierbei handelt es sich um komplexe Flugzeugmodelle, bei denen Klebstoffe, Materialmischungen, exzessives Schneiden und sogar andere Materialien wie Pappe, Karton oder Balsaholz zum Einsatz kommen.
Daneben unterteilen sich alle Papierflieger noch nach der grundsätzlichen Art von Wurf und Flug. Sogenannte Werfer sind lediglich auf einen niedrigen Luftwiderstand hin optimiert. Ihr Flug ähnelt derjenigen einer ballistischen Rakete, denn er folgt einer Wurfparabel.
Das Gegenstück sind Gleiter. Bei ihnen wirken die Mechanismen der Aerodynamik, daher werden ihre Tragflächen auf eine Weise umströmt, durch die Auftrieb wie bei einem „richtigen“ Flugzeug entsteht.
Hinweis: Im weiteren Textverlauf werden wir uns aus Platzgründen vornehmlich auf klassische gefaltete Gleiter fokussieren. Wo andere Herangehensweisen thematisiert werden, werden wir es kenntlich machen.
ES KOMMT ALLES AUFS PAPIER AN
Prinzipiell gibt es kaum Grenzen dessen, aus was genau sich ein Papierflieger herstellen lässt. Jedoch spielen hierbei zwei wichtige Faktoren eine zentrale Rolle:
· Das Gewicht des Papiers, es wird meistens in Gramm pro Quadratmeter (g/m²) angegeben. Je schwerer das Papier, desto mehr Tragflächen-Fläche ist nötig, um ein möglichst langes Gleiten zu gestatten. Werfer bestehen meist aus schwererem Papier, Gleiter eher aus leichterem Material.
· Die Steifigkeit und Festigkeit des Papiers. Typischerweise steigt beides mit dem Papiergewicht – ebenso wie die Dicke. Damit wirkt es sich auf die Faltbarkeit und Stabilität aus. Diese Steifigkeit ist vor allem bei Gleitern nötig, damit sich die durch das Falten hergestellten aerodynamischen Eigenschaften nicht durch ein zu „labberiges“ Papier zum Negativen verändern.
Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist die Knickstabilität, eine „Verwandte“ der Steifigkeit. Sie sagt letztlich aus, wie gut die präzise eingebrachten Falzen halten, wenn die Kraft der Finger nicht mehr aufrechterhalten wird.
Doch von welchem Papier sprechen wir denn hier? Es kommt viel darauf an, welches exakte Modell es sein soll und welche Größe das Ergebnis haben wird. In der Breite beginnt die Tauglichkeit am oberen Ende eines sehr dünnen Materials: sogenanntes Dünndruckpapier, besser als Bibelpapier bekannt. Es findet sich in Bereichen bis 60 g/m². Allerdings ist nicht jedes Dünndruckpapier geeignet, weil Steifigkeit und Festigkeit oft unterschiedlich ausgeprägt sind. Hier hilft nur Ausprobieren.
Weiter geht es mit Schreib- und Kopier- bzw. Druckerpapier im Bereich von 70 bis 90 g/m². Das ist in der Szene sozusagen ein Universalpapier, weil es einen sehr breiten Anwendungsbereich hat, der sowohl sehr simple als auch komplexe Falter gestattet.
Mit einem Griff ins Druckpapierregal und den Größen A3 oder A4 machen deshalb Anfänger sicherlich nichts falsch und sind zudem günstig unterwegs. Jedoch führen nur Erfahrung und das Ausprobieren unterschiedlicher Papiersorten und -gewichte bei gleichbleibender Faltung zum persönlich perfekten Flieger.
Übrigens: Papierfliegen ist eine eigene Kunst für sich. Daher gibt es Profis dieses Schaffens, die sogar aus Seiden- und Zigarettenpapier Falter zaubern können – vollständig flugfähig.
ZWISCHEN ULTRA-SIMPEL UND ORIGAMI: FALTTECHNIKEN
Ein Blatt Papier lässt sich in der Regel siebenmal mittig falten, bevor sich zu viele Schichten aufgetürmt haben – in diesem Fall ist es ein regelrechter Papierturm aus 128 Lagen.
Innerhalb dieser sehr weiten Limitierung ist naturgemäß extrem vieles möglich. Kommt dann noch die lange Geschichte der Papierfliegerei hinzu und der niedrige Preis für die Ausgangsmaterialien, erklärt sich schnell, warum es allein dutzende Grundformen von als Ori-Plane und Falter konzipierten Gleitern und Werfern gibt.
Jedes Design stellt nicht nur eine andere Herausforderung beim Falten dar, sondern zeichnet sich durch ganz eigene Flugeigenschaften aus. Diese wiederum unterliegen nicht weniger als 22 (weiteren) einzelnen Faktoren:
1. Abwurfbeschleunigung
2. Abwurfhöhe
3. Abwurfwinkel
4. Abwurfzeitpunkt
5. Flügelfläche
6. Flügelgeometrie
7. Flügelstellung
8. Griff-Art beim Abwurf
9. Größe von Papier und Flieger
10. Haltepunkt beim Abwurf
11. Knickstabilität
12. Luftfeuchtigkeit
13. Nasenform
14. Papiereigenschaften
15. Papiergewicht
16. Rumpfform
17. Schwerpunkt
18. Stabilisatorenform und -anzahl
19. Thermik
20. Windrichtung
21. Windstärke
22. Zusätzliche Massen
Das heißt, selbst wenn man sich auf ein einziges Design fokussiert und es immer wieder aus derselben Papierart faltet, gibt es noch zahlreiche andere Stellschrauben, an denen es sich drehen lässt, um die Performance zu beeinflussen. Und das sind, wie angemerkt, nur einfache Origamis und Falter. Schon sie bieten Spaß für viele Hobbyjahre. Rechnet man noch komplexere Papierflugzeuge dazu, dann wird das Steckenpferd nicht nur um Basteln und Modellbau ergänzt, sondern um zahlreiche weitere Designmöglichkeiten. Definitiv ein Vergnügen, mit dem man problemlos alt werden kann.
DER PERFEKTE MIX AUS SPASS UND NATURWISSENSCHAFT
Mancher Leser erinnert sich vielleicht noch aus der Schulzeit an erzürnte Lehrer im Angesicht eines Papierfliegers. Heute allerdings dürfte es – je nach Unterrichtsfach – etwas anders ablaufen. Denn gerade in der Mathematik hat man längst erkannt, wie sehr Papierfliegerei der Schülerschaft eine praktische Umsetzung der Prinzipien näherbringen kann.
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REKORDE UND WETTBEWERBE
Der schönste, maximal sauber gefaltete Gleiter taugt nichts, wenn er sich nicht in der Luft hält. Dabei kommt es – wie in den anderen Bereichen der Fliegerei – auf zwei höchst unterschiedliche Ziele an:
· Die in der Luft verbrachte Zeit
· Die fliegend zurückgelegte Distanz
Da beides flugphysikalisch stark unterschiedliche Anforderungen sind, ist eine in jeglicher Hinsicht spezialisierte Herangehensweise vonnöten. Ein Design, das sehr weit fliegen kann, muss nicht unbedingt lange in der Luft bleiben. Nach diesem Prinzip funktionieren beispielsweise sämtliche Werfer. Umgekehrt kann ein Gleiter bei entsprechender Thermik durchaus nur wenige Meter weit kommen, aber sich dennoch enorm lange durch Kreiseln in der Luft halten – ähnlich wie ein bemanntes Segelflugzeug über einem Kornfeld.
Doch wie bewertet man hier? Die schlechte Nachricht: Es gibt weder globale Ligen noch irgendwelche Instanzen (etwa Dachverbände). Maßgeblich sind vor allem das Guinnessbuch sowie die Red Bull Paper Wings des österreichischen Energydrink-Herstellers.
Typischerweise wird bei Wettbewerben nach dem Prinzip „Boden-Boden“ geflogen. Heißt, der einzige Höhenunterschied zwischen Start- und Landepunkt ist die Größe des Werfers. Diesbezüglich existieren folgende Rekorde:
· Flugdistanz nach Guinness: 88,32 m
· Flugdauer nach Guinness: 29,2 s
· Flugdistanz nach Red Bull: 69,14 m
· Flugdauer nach Red Bull: 27,6 s
Jedoch weiß wohl jeder, der schon einen Papierflieger aus dem Klassenzimmerfenster geworfen hat – da geht noch mehr. In der Tat. Dort gibt es ebenfalls Rekorde. Sie dürften sich von Privatleuten jedoch kaum angreifen lassen. Zwei Beispiele dafür:
· 2010 brachte das Projekt PARIS (Paper Aircraft Released Into Space) einen Papierflieger via Ballon auf eine Höhe von 90.000 Fuß, respektive 27.000 Meter. Der Weltraum beginnt zwar je nach offizieller Definition erst zwischen 80- und 100.000 Höhenmetern. Für PARIS – ein komplexes Papierflugzeug – reichte es dennoch für einen Guinness-Weltrekord der höchsten Abwurfhöhe.
· 2011 hob das Project Space Planes nach eigenen Angaben 200 Falter in 37.339 Meter Höhe über Wolfsburg – wo der genutzte Gasballon platzte. Angeblich wurden die Flieger unter anderem in Kalifornien, Kanada, Russland und sogar Indien und Australien gefunden – jedoch nach unseren Recherchen durch keine dritte Stelle bestätigt.
Allerdings müssen es nicht solche Rekorde sein. Es genügt schon, sich mit einem gut gefalteten Modell auf einer Wiese auszutoben, um großen Spaß mit ganz kleinen Flugzeugen zu haben.
01.08.2024
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